Sonntag, 3. März 2013


Schnittblumen


(Eine Sinfonie in rosé und violett)

Das meiste, dachte sie, war nur geborgt. Jemand hatte ein Wort gesagt, Wochen oder Monate waren seither vergangen, ein anderer hatte sich das Wort notiert und füllte damit einen Absatz, eine Nische in einem mit Syntax bekleideten Part. In der Frühe waren Pakete angeliefert worden, der Bote klingelte zweimal, doch sie verband mit diesem Klingeln nichts, das Klingeln an der Haustür galt niemals ihr. Viel später trat sie heraus, es war Mittagszeit, seit einer dreiviertel Stunde gab es so etwas wie Tageslicht mit einem kaum merklichen Pfirsichstich darin. Pastell traf den Ton nicht. Mattviolett eher, die Farbe der Dekadenz. Im Flur war es dunkel und still. Sie schloss den Briefkasten auf. Ein Paketschein lag darin, das musste ein Irrtum sein. Sie dachte an Verschiedene. Wie von amputierten Recken, waren von ihnen nur die Initialen erhalten geblieben. Geköpfte Rosen, trocken wie Papier. Getrocknet im Glas, gaben sie Tag für Tag ein wenig Pulver ab. Die Nachbarinnen rechts und links in ihren Nachtgewändern überreichten ihr von jeder Seite einen Karton. Leicht und sperrig waren die Kartons, wie Hühnervögel. Ohne Absender. Zum Aufklappen. Die Nachbarinnen schauten hinter langen dunklen Haaren hervor. Sie dachte augenblicklich an zwei, dunkel und blond wie Schachbrettmuster, der eine auf Reisen, der andere wie gekettet an seinen Arbeitsort in der Wohnung, zwei, die nichts voneinander wissen wollten. Ohne Absender. Da lagen sie auf beiden Seiten in ihren Schalenbetten, leicht und wuchtig, die Schnittblumen. Die ersten Tulpen im Jahr. Es ist die Erinnerung, die quält, hatte der Blonde gesagt. Der Dunkle nahm nur einen Schluck Branntwein und legte das unfertige Produkt der letzten Tage vor sie hin. Mach damit weiter. Und nimm den Bus in die Stadt, schnell, geh, bevor es Nachmittag wird. Die Geschäfte schließen. Das geborgte Wort steht auf Grund mit seinem Wortstiel, sein Kopf, das Projektil, hat es vornüber geneigt.

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