Donnerstag, 2. Mai 2013


Maitag in Technicolor


Vincit tempus omnia.


Für A.

Sie trug unmögliche Hüte. Von anderen geformte, am Mittag. Am Maitag. Intim mit der in Gläsern zerstreuten Sonne. Drehbar im Stehenden Jetzt. Sie trügen sie so gut über die Dinge hinweg, diese Hüte, weit hinein in die Droge Frühlingsgrün. Boa mit grellroten Federn wirft sie ab, schüttelt sie von sich, Nelke von damals am Kleid. Schwarze Schatten darüber. Von ihm. Fehlt die Sonne, beachtet mich niemand. Fadendünne Schleppen, Knäufe am Sonnenschirm, in weiß, mit Rußpartikeln. Und die Schuhspitzen, Metallschnallen, Legierung, mit Pferdekot bespritzt, das wünschte er sich, nach dem Maitag, an dem es nicht regnete. Silbern war sein Haar unterdessen. Seine Körperfülle angewachsen, ein zu besteigender Berg, seine Gestalt eine, die flüchtige Frauen zu sich kehrt machen, noch immer anhalten hieß. Siehe, solch schreckliche Hüte. Schlage sie ein in deinen Blick, silbergrau. Schlage sie ein, in Pergamentpapier, das knistert, in dauerhaftes hell gedämpftes Licht. In die Finger, die schnell den Auslöser bewegen. Ich rate Ihnen zu dieser Uhr. Auf das Zifferblatt schaust du, Hora ruit – die Stunde enteilt, die Zeiger schillern. Die Zeiger stehen. Die Ziffern am Tagblatt klicken, bedächtig. Sie trägt Hüte. Du silbergrau. Halterung des Lichts. Bringst sie zum Stehen. Von diesen Stunden ist eine für dich. Wir atmen nur Blütenstaub. Sind keine Pferde. Die durchgehen. Wo der Schleier sich legt über das, was ausgestreut wird. Wir sehen nicht die Farben. Nur die Reflexe. Aber meinst du. Zu sehen, die sich sonnen. Allwissend zu sein. Die Parade ihrer Hufe, ihrer roten Federn wirst du zum Stehen bringen. Ihre fluchtlosen Schritte. Ihre unmöglichen Hüte. Oh, mein Gott. Und klick mich. Hinauf auf gewienerte Stufen, eisglatt. Steinsteil. Kommen vor dem Fall. Die Stunde enteilt. Sternenfeil tickt die Zeit, dir nachgehend, empor.



 
 
 



 

Samstag, 20. April 2013

Irgendwann


Irgendwann, bei schlechtem Wetter. Die Brüstung der Ballustrade hatte jemand mit einer Eisenstange durchbrochen. Schwere Steine plumpsten in den Fluss. In sein sich aufschichtendes Hochwasser. Irgendwann, in der Zeit nach dem Tauwetter, noch nicht Frühling aber nicht mehr Winter. Die Sonne hatte sich rar gemacht, nur am Abend zwischen sechs und sieben war ein schmaler Streifen ockerorange am Horizont zu sehen. Der Regen fiel dennoch in dünnen Schnüren und zerplatzte in Tropfen auf den Schirmen. Auf ein flammendes Rot. Tropfen perlten ab an seinem Rand. Irgendwo, in einer größeren Stadt im Osten, hatten sich Spaziergänger gesammelt, ungenau, transparent. Gingen sie vor dem Abend am Nachmittag aus der Stadt heraus. Petula hatte ihr Glück gewünscht. Ich wünsche dir Glück für diese Begegnung. Und bleib nicht zu lange fort. Doch sie blieb länger fort. Länger als zuvor. Ging durch einen hell erleuchteten Korridor, in ein Museum, in der eintausend Jahre europäische Kultur eingefangen waren. Blätterte Listen durch, fächerte irrisierende Bildflächen auf. Hände berührten sie dabei. Sie nahm auch sie wie Fächer wahr. Wollte sich einen davon greifen und sich dahinter verstecken. Es war schon lange nach der Zeit mit den altvertrauten Straßen, dem immer wieder sich abwenden, den dunklen Mänteln, dem flirrenden Schneegestöber in den Laternen, dem Davonlaufen. Der Zustand danach war ein anderer. Sie lief zuvor noch immer schneller. Bog sich manchmal tagelang aus. Lieh sich immer neue Existenzen, fächerte Masken auf und wieder weg von ihrem Gesicht. Das Gegenüber veränderte sich nicht. Sie nahm die Tram, den Zug, das Fahrrad, die eigenen Beine. Irgendwann war der Schnee verschwunden und die Gesichter sahen anders aus. Sie konnte etwas darin filtern. Die Begegnung gab sich ihr völlig hin. Sie nahm entgegen, was sie ihr bot. Mit einem Lachen und ohne nur zu kichern. Mit einem Lachen offenen Mundes. So dass alle ihre Zähne sichtbar wurden. Alle Fehler bekamen einen Platz. Nichts wurde ausgespart. Sie nahm sie nicht mehr als Fehler. Sinnliche Reizbarkeit. Sie wurde krank. Regenschnüre, viele Tage lang. Ein warmer Windschauer für einen kurzen Moment. Alle Farben waren blass. Aquarelltöne ineinander. In ein Museum, weit entfernt. Finger, die ihre berührten.

Montag, 25. März 2013

Ein Kichern


Schneekristalle. Pudriges Eis. Unter den Halogenlampen tanzen sie wie Bettfedern en miniatüre. Die Brücke. Auf der Straße neben mir gleitet ein Fahrrad durch die Eisrinnen. Seitenwechsel. Leicht und ruhelos. Kalte Pusteblumen. Fliegen auf in unglaublicher Langsamkeit. Kristalle hängen in der Luft, auf dem Boden. Wie unter Kuppeln aus Glas, ein Verlegenheitsgeschenk an ein beliebiges Kind. Wir stehen fest. Bewegen uns, so leicht. Ein Kichern.

Dienstag, 19. März 2013

Paralyse


fabeltiere, leinentücher. deine stimme ein hintergrund. das leise zeichen einer warnung. er, der snob. in jede der kalten nächte noch sterne geholt. das wollte er zeigen, in deine losgelöstheit zwängen. er, paralysiert. reglos. ein blasser dir folger. ästhet in vermintem gebiet.

Mittwoch, 6. März 2013

Die Ruhe und Eleganz selbst


In dichter Wolle umstürzt sie mich. Ihren Hals, hoch bis an das Haar, das den Schädel umhüllt, hinter dem ihr hübsches Gehirn liegt, stranguliert ein gerippter Schal in schwarz. Faltungen von Raum und Zeit. Fingerfood, ihre Stimme schneidet in matten Sequenzen meinen Körper auf. In Herz, Lungen, Nieren, Muskelstränge. Während sie sich wohl fragt, was sie getan hat. Es müsste, ihre Augen als Laser gerichtet, irgendwo dort sein. Geradezu verschlingend treffen. Die Leute würden panisch und fingen an zu rennen. Konturen entstehen um ihren Körper, führen Bewegungen aus, die subtil sind, so dass jeder, der hier vorbeiginge, sicher glaubte, sie sei die Ruhe und Eleganz selbst. Sie trägt den Hut oben auf der Scheitelkante, nennt ihn Blättrige, weil sie davon herunterfallen. In die zweifelnd gelenkige Stirn, Faltungen von Raum und Zeit. Ihre Zigarette ist ein Spätzünder und wird von ihr einfach weg gelegt. Sie spießt ein Stück Filet mit der Gabel auf, die Gabel bleibt in der Luft stehen, ihr Mund nimmt sie nicht entgegen. Sie atmet tief und fixiert, doch ihr Blick streut, die Lider senken sich. Die Haut der Augenlider schimmert hell, fast blass. Von Adern durchzogen, schwer. Müde, frage ich. Das reicht. Doppelhelix. Alles in allem. Frau und Laser. Zahlen. Quersummen. Kennzeichen. Die Pupillen, Kamera. Ich entdecke eine Lust auf das sich trennende Stück Filet in ihrem Mund. Faltungen von Raum und Zeit. Ich bin nur der Katalysator deines Buches, antwortet sie. Das Stück Filet verschwindet im Schlund. An sich ist dieser Kopf schön, wenn er sich hebt: Wenn du nur empathischer wärst. Nicht begehrt zu sein, ist schlimm. Aber all das schmälert nicht. Irgendwann geht sie an die Rezeption, fragt hinter vorgehaltener Hand nach einem Schlüssel und rennt die Wendeltreppe hoch in die vierte Etage. Der Fahrstuhl, alt und rostig, ist ein Instrument, in dem sie stecken bliebe. Wenn Raum und Zeit sich trennen.

Dienstag, 5. März 2013


Stubengelehrte


Auch für eine Dame in reiferem Alter mit viel Interesse an Fiktionen und elektronischen Applikationen gibt es Momente, da sie nach Tagen des orientierungslosen Herumtapsens in der eigenen Wohnung wieder einmal Licht in die Verhältnisse bringt. Sie steht zeitiger auf, denn naturbedingt wird es etwas früher hell als noch vor einigen Wochen. Trübes, aber für die Zapfen und Stäbe ihrer Netzhaut ausreichendes Taglicht zeigt ihr Hausstaub auf allen Ebenen der Einrichtung an. Nein, jetzt wird nicht der Staubsauger herbeigeholt. Das würde die Weiterleitung ihrer Nervenreize betrüben und enttäuschen. Sie zieht sich etwas an, macht sich sozusagen straff, und verlässt unter Auffahren von Wollmäusen das Haus. Dort, im nächsten Discounter, warten die Gewächshaustulpen. Sie wissen schon, die mit den Stängeln, die immer länger werden. Sie holt sie rasch heran und zahlt sie mit dem von ihr erwirtschafteten Geld. Zügig geht sie rückwärts ein in die Stube, schaut in Ecken, wo sich neben liegen gebliebenen Wollmäusen bereits Türme von Porzellan- und Vielfarb-Glasvasen bereit gemacht haben. Sie reflektiert und schnippelt. Am Ende dieser Prozedur steht die Frische nicht nur im eigenen Heim über der Wollmakulatur, sondern auch im Gesicht der umtriebigen Dame. Herrenbesuch, bevorzugt von Nerds, kann nun erwartet werden.

Sonntag, 3. März 2013


Schnittblumen


(Eine Sinfonie in rosé und violett)

Das meiste, dachte sie, war nur geborgt. Jemand hatte ein Wort gesagt, Wochen oder Monate waren seither vergangen, ein anderer hatte sich das Wort notiert und füllte damit einen Absatz, eine Nische in einem mit Syntax bekleideten Part. In der Frühe waren Pakete angeliefert worden, der Bote klingelte zweimal, doch sie verband mit diesem Klingeln nichts, das Klingeln an der Haustür galt niemals ihr. Viel später trat sie heraus, es war Mittagszeit, seit einer dreiviertel Stunde gab es so etwas wie Tageslicht mit einem kaum merklichen Pfirsichstich darin. Pastell traf den Ton nicht. Mattviolett eher, die Farbe der Dekadenz. Im Flur war es dunkel und still. Sie schloss den Briefkasten auf. Ein Paketschein lag darin, das musste ein Irrtum sein. Sie dachte an Verschiedene. Wie von amputierten Recken, waren von ihnen nur die Initialen erhalten geblieben. Geköpfte Rosen, trocken wie Papier. Getrocknet im Glas, gaben sie Tag für Tag ein wenig Pulver ab. Die Nachbarinnen rechts und links in ihren Nachtgewändern überreichten ihr von jeder Seite einen Karton. Leicht und sperrig waren die Kartons, wie Hühnervögel. Ohne Absender. Zum Aufklappen. Die Nachbarinnen schauten hinter langen dunklen Haaren hervor. Sie dachte augenblicklich an zwei, dunkel und blond wie Schachbrettmuster, der eine auf Reisen, der andere wie gekettet an seinen Arbeitsort in der Wohnung, zwei, die nichts voneinander wissen wollten. Ohne Absender. Da lagen sie auf beiden Seiten in ihren Schalenbetten, leicht und wuchtig, die Schnittblumen. Die ersten Tulpen im Jahr. Es ist die Erinnerung, die quält, hatte der Blonde gesagt. Der Dunkle nahm nur einen Schluck Branntwein und legte das unfertige Produkt der letzten Tage vor sie hin. Mach damit weiter. Und nimm den Bus in die Stadt, schnell, geh, bevor es Nachmittag wird. Die Geschäfte schließen. Das geborgte Wort steht auf Grund mit seinem Wortstiel, sein Kopf, das Projektil, hat es vornüber geneigt.

Samstag, 2. März 2013



Gesche Blume liest Jeunesse doree aus Lilith im blauen Kleid, erschienen in der edition erata (Leipziger Literaturverlag), 2006