Montag, 25. März 2013

Ein Kichern


Schneekristalle. Pudriges Eis. Unter den Halogenlampen tanzen sie wie Bettfedern en miniatüre. Die Brücke. Auf der Straße neben mir gleitet ein Fahrrad durch die Eisrinnen. Seitenwechsel. Leicht und ruhelos. Kalte Pusteblumen. Fliegen auf in unglaublicher Langsamkeit. Kristalle hängen in der Luft, auf dem Boden. Wie unter Kuppeln aus Glas, ein Verlegenheitsgeschenk an ein beliebiges Kind. Wir stehen fest. Bewegen uns, so leicht. Ein Kichern.

Dienstag, 19. März 2013

Paralyse


fabeltiere, leinentücher. deine stimme ein hintergrund. das leise zeichen einer warnung. er, der snob. in jede der kalten nächte noch sterne geholt. das wollte er zeigen, in deine losgelöstheit zwängen. er, paralysiert. reglos. ein blasser dir folger. ästhet in vermintem gebiet.

Mittwoch, 6. März 2013

Die Ruhe und Eleganz selbst


In dichter Wolle umstürzt sie mich. Ihren Hals, hoch bis an das Haar, das den Schädel umhüllt, hinter dem ihr hübsches Gehirn liegt, stranguliert ein gerippter Schal in schwarz. Faltungen von Raum und Zeit. Fingerfood, ihre Stimme schneidet in matten Sequenzen meinen Körper auf. In Herz, Lungen, Nieren, Muskelstränge. Während sie sich wohl fragt, was sie getan hat. Es müsste, ihre Augen als Laser gerichtet, irgendwo dort sein. Geradezu verschlingend treffen. Die Leute würden panisch und fingen an zu rennen. Konturen entstehen um ihren Körper, führen Bewegungen aus, die subtil sind, so dass jeder, der hier vorbeiginge, sicher glaubte, sie sei die Ruhe und Eleganz selbst. Sie trägt den Hut oben auf der Scheitelkante, nennt ihn Blättrige, weil sie davon herunterfallen. In die zweifelnd gelenkige Stirn, Faltungen von Raum und Zeit. Ihre Zigarette ist ein Spätzünder und wird von ihr einfach weg gelegt. Sie spießt ein Stück Filet mit der Gabel auf, die Gabel bleibt in der Luft stehen, ihr Mund nimmt sie nicht entgegen. Sie atmet tief und fixiert, doch ihr Blick streut, die Lider senken sich. Die Haut der Augenlider schimmert hell, fast blass. Von Adern durchzogen, schwer. Müde, frage ich. Das reicht. Doppelhelix. Alles in allem. Frau und Laser. Zahlen. Quersummen. Kennzeichen. Die Pupillen, Kamera. Ich entdecke eine Lust auf das sich trennende Stück Filet in ihrem Mund. Faltungen von Raum und Zeit. Ich bin nur der Katalysator deines Buches, antwortet sie. Das Stück Filet verschwindet im Schlund. An sich ist dieser Kopf schön, wenn er sich hebt: Wenn du nur empathischer wärst. Nicht begehrt zu sein, ist schlimm. Aber all das schmälert nicht. Irgendwann geht sie an die Rezeption, fragt hinter vorgehaltener Hand nach einem Schlüssel und rennt die Wendeltreppe hoch in die vierte Etage. Der Fahrstuhl, alt und rostig, ist ein Instrument, in dem sie stecken bliebe. Wenn Raum und Zeit sich trennen.

Dienstag, 5. März 2013


Stubengelehrte


Auch für eine Dame in reiferem Alter mit viel Interesse an Fiktionen und elektronischen Applikationen gibt es Momente, da sie nach Tagen des orientierungslosen Herumtapsens in der eigenen Wohnung wieder einmal Licht in die Verhältnisse bringt. Sie steht zeitiger auf, denn naturbedingt wird es etwas früher hell als noch vor einigen Wochen. Trübes, aber für die Zapfen und Stäbe ihrer Netzhaut ausreichendes Taglicht zeigt ihr Hausstaub auf allen Ebenen der Einrichtung an. Nein, jetzt wird nicht der Staubsauger herbeigeholt. Das würde die Weiterleitung ihrer Nervenreize betrüben und enttäuschen. Sie zieht sich etwas an, macht sich sozusagen straff, und verlässt unter Auffahren von Wollmäusen das Haus. Dort, im nächsten Discounter, warten die Gewächshaustulpen. Sie wissen schon, die mit den Stängeln, die immer länger werden. Sie holt sie rasch heran und zahlt sie mit dem von ihr erwirtschafteten Geld. Zügig geht sie rückwärts ein in die Stube, schaut in Ecken, wo sich neben liegen gebliebenen Wollmäusen bereits Türme von Porzellan- und Vielfarb-Glasvasen bereit gemacht haben. Sie reflektiert und schnippelt. Am Ende dieser Prozedur steht die Frische nicht nur im eigenen Heim über der Wollmakulatur, sondern auch im Gesicht der umtriebigen Dame. Herrenbesuch, bevorzugt von Nerds, kann nun erwartet werden.

Sonntag, 3. März 2013


Schnittblumen


(Eine Sinfonie in rosé und violett)

Das meiste, dachte sie, war nur geborgt. Jemand hatte ein Wort gesagt, Wochen oder Monate waren seither vergangen, ein anderer hatte sich das Wort notiert und füllte damit einen Absatz, eine Nische in einem mit Syntax bekleideten Part. In der Frühe waren Pakete angeliefert worden, der Bote klingelte zweimal, doch sie verband mit diesem Klingeln nichts, das Klingeln an der Haustür galt niemals ihr. Viel später trat sie heraus, es war Mittagszeit, seit einer dreiviertel Stunde gab es so etwas wie Tageslicht mit einem kaum merklichen Pfirsichstich darin. Pastell traf den Ton nicht. Mattviolett eher, die Farbe der Dekadenz. Im Flur war es dunkel und still. Sie schloss den Briefkasten auf. Ein Paketschein lag darin, das musste ein Irrtum sein. Sie dachte an Verschiedene. Wie von amputierten Recken, waren von ihnen nur die Initialen erhalten geblieben. Geköpfte Rosen, trocken wie Papier. Getrocknet im Glas, gaben sie Tag für Tag ein wenig Pulver ab. Die Nachbarinnen rechts und links in ihren Nachtgewändern überreichten ihr von jeder Seite einen Karton. Leicht und sperrig waren die Kartons, wie Hühnervögel. Ohne Absender. Zum Aufklappen. Die Nachbarinnen schauten hinter langen dunklen Haaren hervor. Sie dachte augenblicklich an zwei, dunkel und blond wie Schachbrettmuster, der eine auf Reisen, der andere wie gekettet an seinen Arbeitsort in der Wohnung, zwei, die nichts voneinander wissen wollten. Ohne Absender. Da lagen sie auf beiden Seiten in ihren Schalenbetten, leicht und wuchtig, die Schnittblumen. Die ersten Tulpen im Jahr. Es ist die Erinnerung, die quält, hatte der Blonde gesagt. Der Dunkle nahm nur einen Schluck Branntwein und legte das unfertige Produkt der letzten Tage vor sie hin. Mach damit weiter. Und nimm den Bus in die Stadt, schnell, geh, bevor es Nachmittag wird. Die Geschäfte schließen. Das geborgte Wort steht auf Grund mit seinem Wortstiel, sein Kopf, das Projektil, hat es vornüber geneigt.

Samstag, 2. März 2013



Gesche Blume liest Jeunesse doree aus Lilith im blauen Kleid, erschienen in der edition erata (Leipziger Literaturverlag), 2006