Samstag, 19. Dezember 2020

Still A life. Work in Progress.


Darf ich vorstellen: Ich arbeite tatsächlich immer noch hier. Mein Projekt Still life ist eine langwierige Quarantäne: Man ist isoliert, fast erstarrt, man fühlt sich nicht sehr wohl und es dauert ewig. Der Prozess des Arbeitens an diesem Text/Projekt war und ist meine Quarantäne - nicht nur im Jahr 2020:

 Und darum geht es in Still life:

Esther ist eine schweiflose Spaziergängerin. Durch eine Annonce im Stadtmagazin trifft Esther auf den Kunsthistoriker Eduard und seinem Freund Vyvyan, der nach Oscar Wildes Sohn heißt. In einer alten, noch kaum sanierten Etagenwohnung leben sie wie zur Zeit der Jahrhundertwende. Eduard promoviert über englische Landschaftsmaler, Vyvyan arbeitet an einen Bilderzyklus.

Esther bewirbt sichals Vyvyans Modell. Als sie es schafft, sich ganz dem Zeitgefühl der Jahrhundertwende zu verschreiben, wählt Vyvyan sie schließlich aus. Vyvyan, der an Schlafsucht leidet, kann nur nachts oder nachmittags malen. Aber da das Ungewöhnliche für Esther immer mehr zur Normalität wird, passt sie sich auch diesem Rhythmus an.

Sie sieht, wie Bilder entstehen, die sie als eine fremde Person in fremder Umgebung und in einem bisher völlig unbekannten Licht zeigen. Zusehends gerät sie in den Sog der vergangenen Zeit.


 


 

Dienstag, 29. Juli 2014

Lilith im blauen Kleid

Eine Frau sitzt im Zimmer. Sitzt auf dem Fußboden vor zugezogenen Gardinen, damit die Sonne ihre Haut nicht noch mehr verbrenne. Außer ihr sind noch drei andere Figuren anwesend. Victor, Marisa, und eine, die einfach „das Mädchen“ genannt wird. Was befindet sich jenseits der Fakten, die von der Erzählerin so eindringlich beschrieben werden? Die Anspielungen sind vielfältig, doch keine erlaubt es uns, die Verhältnisse, die hier bestehen, endgültig zu klären. Die Geschichte bleibt ein Torso. Nur die Figuren wissen um ihre Beziehungen, ihre Befindlichkeiten. Sie öffnen den Vorhang vor dem Bewusstsein des Lesers nur einen Spalt breit, geben kurze Einblicke in ihre Welt, die ahnen lassen, was hinter dem Vorhang geschieht.

Lilith im blauen Kleid ist der Titel für eine Geschichte, die sich zur blauen Stunde, nach Mitternacht, ereignet haben könnte. Die geheimnisvolle Henriette, die sich aus unerfindlichen Gründen Lilith nennt, ist das lebendige Geschenk einer homosexuellen Frau an ihren Freund Ivo, denn sie weiß, sie kann seinen Wunsch nach Intimität nicht erfüllen. Lilith ist für Ivo die Erinnerung an „Nuda veritas“, ein Gemälde von Gustav Klimt. Die Treffen zwischen Lilith und Ivo finden jenseits der Wirklichkeit, halb im Traum statt, und die Geschichte endet gleich einer Choreographie: während eines Sommers, in dem es ununterbrochen regnet, wird Lilith einfach wie eine Schaufensterpuppe in ihr nasses Kleid gesteckt und auf den Balkon gesetzt.

Alle weiteren Erzählungen in diesem Band von Gesche Blume halten diesen Ton durch. Auf der Treppe präsentiert, angelehnt an Nabokovs Lolita, die erotische Begegnung einer 14-jährigen mit dem Freund ihrer Mutter: „Ich trug noch Söckchen, da kam eines Tages ein Besucher  in unser Haus.“ Die Sprache, von selbstbewusster, sich stellenweise selbst parodierender Künstlichkeit, passt sich schonungslos dem juvenilen Alter der Ich-Erzählerin an – und führt es ad absurdum. Als hätte die Autorin beim Schreiben eine farbige Pille eingeworfenen oder durch ein Kaleidoskop geblickt, entfacht der Erzählduktus nach und nach ein buntes, barockes oder besser: jugendstil-artiges Feuerwerk. Gefährliche Liebschaften? Der Maler Lucian in Lustwandeln  könnte einem Roman von Thomas Mann entsprungen sein: Er liegt mit einem Lungenleiden im Krankenhaus, doch die Behandlungsmethoden des Arztes sind alles andere als konventionell. Jeunesse dorée schließlich kommt als selbstreflexives Manifest der Autorin und ihres Schreibens daher: „Wir leben in einem Zeitalter der Auflösung. Fin de siècle-Stimmung spüren wir an allen Ecken der Straßen, wo uns feine kühle Luft entgegenweht, wenn wir vor den Göttern flüchten“, so das Bekenntnis an die Leserschaft

Die äußere Wirklichkeit scheint in diesen Erzählungen verwandelt, nicht existent –  sie wird bestenfalls sporadisch, unter der Decke metaphorierter Wahrnehmung sichtbar, und sie bietet den Protagonisten keinen Trost. Im Gegenteil: sie treibt sie nur noch tiefer in die Erkenntnis, dass Erlösung aus den unbewältigten Machtverhältnissen nur in der persönlichen und letztendlich körperlich-erotischen Begegnung zweier Individuen statt finden kann. Es gibt kein Ideal, keinen Gott, keine Ideologie, kein schützenden Außen.


Gesche Blume trägt mit ihrem Erzählband Lilith im blauen Kleid die Überreste einer längst verflossenen Ära in die postmoderne Lebenswelt. Sie mischt technische Kühle mit konstruierter Sinnlichkeit. Fasziniert von den heimlichen Katastrophen, die sich lautlos und fern vom Licht der Öffent­lichkeit ereignen, konzentriert sich die Autorin wie eine Impressionistin auf den Moment.


Gesche Blume: Lilith im blauen Kleid. Leipziger Literaturverlag 2006.

Donnerstag, 23. Januar 2014

Ein Plädoyer für die Elster-Bar

Der Abstieg hatte schon länger begonnen. Drinnen war jetzt ein Frisör, im Fenster ein kleiner Stern, der das Dunkle, Regenichte müde beleuchtete, ganz als hätte ein Arzt sich endlich zur Untersuchung seines Patienten entschlossen und ein mit Schwachstrom betriebenes Instrument hervorgeholt. Das matte Plakat in Schwarzweiß mit dem schönen Jüngling war nur von feinen und geübten Augen zu erahnen – und meine Kurzsichtigkeit war mit einem Mal kein Manko mehr, sondern von lustvoller Zärtlichkeit gegenüber dem zweidimensionalen Objekt. Das Ramschlädchen mit den Stoffvorhängen, vor dem die Straßenbahn hielt, blieb dagegen in finsterer Nacht. Ein paar Haselnüsse blühten schon, der Regen fiel in transparenten Punkten gleichmäßig wie im Schlaf. Du hättest gesagt, das ist die Jahreszeit, zu der man in diese Bar nicht gehen kann. Ich denke, das hast du ja gar nicht gesagt. Ich denke, ich und du und unsere gemeinsamen Essen in dem auf dem Abstieg befindlichen Lokal sind so straff miteinander verwoben, dass eine Trennung unmöglich ist. Ein strenges Muster in einem abfälligen Gottesplan. Zum Würfeln hat er nie geneigt, der Alte, und wenn er es hier einmal getan hätte, drei Sechsen wären diese Stunden mit dir und mir, dem Putengenuss und deinem aufgestellten Patent sicher nicht gewesen. Ich blicke in den Regen, die Uhr an der Straßenbahnanzeige steht auf 07:07. Bei Schnappszahlen denkt ein Engel an dich. Minuten später steige ich in die Bahn und die Erinnerung klammert sich an meinem Rücken fest. Offenbar will sie mitfahren. Ich knipse den Fahrschein und lächle ihr zu.

Donnerstag, 2. Mai 2013


Maitag in Technicolor


Vincit tempus omnia.


Für A.

Sie trug unmögliche Hüte. Von anderen geformte, am Mittag. Am Maitag. Intim mit der in Gläsern zerstreuten Sonne. Drehbar im Stehenden Jetzt. Sie trügen sie so gut über die Dinge hinweg, diese Hüte, weit hinein in die Droge Frühlingsgrün. Boa mit grellroten Federn wirft sie ab, schüttelt sie von sich, Nelke von damals am Kleid. Schwarze Schatten darüber. Von ihm. Fehlt die Sonne, beachtet mich niemand. Fadendünne Schleppen, Knäufe am Sonnenschirm, in weiß, mit Rußpartikeln. Und die Schuhspitzen, Metallschnallen, Legierung, mit Pferdekot bespritzt, das wünschte er sich, nach dem Maitag, an dem es nicht regnete. Silbern war sein Haar unterdessen. Seine Körperfülle angewachsen, ein zu besteigender Berg, seine Gestalt eine, die flüchtige Frauen zu sich kehrt machen, noch immer anhalten hieß. Siehe, solch schreckliche Hüte. Schlage sie ein in deinen Blick, silbergrau. Schlage sie ein, in Pergamentpapier, das knistert, in dauerhaftes hell gedämpftes Licht. In die Finger, die schnell den Auslöser bewegen. Ich rate Ihnen zu dieser Uhr. Auf das Zifferblatt schaust du, Hora ruit – die Stunde enteilt, die Zeiger schillern. Die Zeiger stehen. Die Ziffern am Tagblatt klicken, bedächtig. Sie trägt Hüte. Du silbergrau. Halterung des Lichts. Bringst sie zum Stehen. Von diesen Stunden ist eine für dich. Wir atmen nur Blütenstaub. Sind keine Pferde. Die durchgehen. Wo der Schleier sich legt über das, was ausgestreut wird. Wir sehen nicht die Farben. Nur die Reflexe. Aber meinst du. Zu sehen, die sich sonnen. Allwissend zu sein. Die Parade ihrer Hufe, ihrer roten Federn wirst du zum Stehen bringen. Ihre fluchtlosen Schritte. Ihre unmöglichen Hüte. Oh, mein Gott. Und klick mich. Hinauf auf gewienerte Stufen, eisglatt. Steinsteil. Kommen vor dem Fall. Die Stunde enteilt. Sternenfeil tickt die Zeit, dir nachgehend, empor.



 
 
 



 

Samstag, 20. April 2013

Irgendwann


Irgendwann, bei schlechtem Wetter. Die Brüstung der Ballustrade hatte jemand mit einer Eisenstange durchbrochen. Schwere Steine plumpsten in den Fluss. In sein sich aufschichtendes Hochwasser. Irgendwann, in der Zeit nach dem Tauwetter, noch nicht Frühling aber nicht mehr Winter. Die Sonne hatte sich rar gemacht, nur am Abend zwischen sechs und sieben war ein schmaler Streifen ockerorange am Horizont zu sehen. Der Regen fiel dennoch in dünnen Schnüren und zerplatzte in Tropfen auf den Schirmen. Auf ein flammendes Rot. Tropfen perlten ab an seinem Rand. Irgendwo, in einer größeren Stadt im Osten, hatten sich Spaziergänger gesammelt, ungenau, transparent. Gingen sie vor dem Abend am Nachmittag aus der Stadt heraus. Petula hatte ihr Glück gewünscht. Ich wünsche dir Glück für diese Begegnung. Und bleib nicht zu lange fort. Doch sie blieb länger fort. Länger als zuvor. Ging durch einen hell erleuchteten Korridor, in ein Museum, in der eintausend Jahre europäische Kultur eingefangen waren. Blätterte Listen durch, fächerte irrisierende Bildflächen auf. Hände berührten sie dabei. Sie nahm auch sie wie Fächer wahr. Wollte sich einen davon greifen und sich dahinter verstecken. Es war schon lange nach der Zeit mit den altvertrauten Straßen, dem immer wieder sich abwenden, den dunklen Mänteln, dem flirrenden Schneegestöber in den Laternen, dem Davonlaufen. Der Zustand danach war ein anderer. Sie lief zuvor noch immer schneller. Bog sich manchmal tagelang aus. Lieh sich immer neue Existenzen, fächerte Masken auf und wieder weg von ihrem Gesicht. Das Gegenüber veränderte sich nicht. Sie nahm die Tram, den Zug, das Fahrrad, die eigenen Beine. Irgendwann war der Schnee verschwunden und die Gesichter sahen anders aus. Sie konnte etwas darin filtern. Die Begegnung gab sich ihr völlig hin. Sie nahm entgegen, was sie ihr bot. Mit einem Lachen und ohne nur zu kichern. Mit einem Lachen offenen Mundes. So dass alle ihre Zähne sichtbar wurden. Alle Fehler bekamen einen Platz. Nichts wurde ausgespart. Sie nahm sie nicht mehr als Fehler. Sinnliche Reizbarkeit. Sie wurde krank. Regenschnüre, viele Tage lang. Ein warmer Windschauer für einen kurzen Moment. Alle Farben waren blass. Aquarelltöne ineinander. In ein Museum, weit entfernt. Finger, die ihre berührten.

Montag, 25. März 2013

Ein Kichern


Schneekristalle. Pudriges Eis. Unter den Halogenlampen tanzen sie wie Bettfedern en miniatüre. Die Brücke. Auf der Straße neben mir gleitet ein Fahrrad durch die Eisrinnen. Seitenwechsel. Leicht und ruhelos. Kalte Pusteblumen. Fliegen auf in unglaublicher Langsamkeit. Kristalle hängen in der Luft, auf dem Boden. Wie unter Kuppeln aus Glas, ein Verlegenheitsgeschenk an ein beliebiges Kind. Wir stehen fest. Bewegen uns, so leicht. Ein Kichern.